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Probejahr

Auszug und Leseprobe (1)  (2)

 

V. sagte immer, genau das wäre allerdings  n i c h t  der Stoff, aus dem wir später einmal Wichtiges zu berichten hätten, wir wären keine Ausgebombden gewesen, keine Vertriebenen, hätten mit unseren Eltern kein endloses Flüchtlingsschicksal hinter uns, auf dem Land mitten in Oberösterreich ging der Krieg unspektakulär zu Ende, die Amerikaner kamen von Wels den Berg herunter und besetzten Kematen an der Krems und als erstes Haus gleich das Haus, das an der Kreuzung stand, es war das Gendarmeriegebäude und mein Großvater war der damalige Postenkommandant.

 

Das Haus wurde sofort requiriert und in der Wohnung meiner Großeltern, in der auch meine Mutter mit meiner damals zweijährigen Schwester wohnte, wurde die Ortskommandantur eingerichtet. Alle mussten raus und so zogen meine Großeltern mit dem damals siebenjährigen Nachzügler-Sohn Maxi, meiner Mutter und meiner Schwester in eine kleine Holzhütte gleich unterhalb des Hauses, doch meine Mutter konnte gut Englisch und war auch so eine recht hübsche Person und die Soldaten ließen ihr immer alles Mögliche so nach und nach aus der Wohnung holen, was man zum Leben brauchte und zuletzt gaben sie ihr immer wieder Lebensmittel, wenn sie mit der Kleinen auf dem Arm hinauf zur Dienstwohnung im Gendarmerieposten kam.

 

Meiner Schwestern hatte sie oft aus einem  alten, abgegriffenen Kinderbüchlein aus festem Karton über die Eule Eulalia vorgelesen und so suchte sie dieses einmal in der inzwischen sagenhaften Unordnung der Wohnung, waren doch alle Kästen offen und nach Wertvollem durchsucht worden, natürlich musste sie dem US-Lieutenant erklären, was sie denn suche und so kam es, dass er und die anderen Soldaten sich einen Spaß daraus machten, auch nach diesem Büchlein mit der Eule zu suchen und sie konnten sich fast zu Tode brüllen über die Versuche, die beiden Wörter Eule Eulalia auszusprechen, sie konnten gar nicht aufhören, dieses amerikanisch eingerollte Dauer-L von sich zu geben und erst als sich alle an der Eule Eulalia satt geschrieen hatten, konnte meine Mutter den fröhlich brutalen Soldatenhaufen mit dem Büchlein in der Hand Richtung Holzhütte verlassen.

 

Diese Erzählung meiner Mutter fiel mir erst wieder ein, als ich einmal in der Lindengasse in Wien an einem kleinen Geschäft vorbei gehe und ich sehe ein paar alte Bücher und Plakate von Kindern und da fällt mir eines auf mit einer Eule, die sehr kindlich hingemalt ist, darauf ist  <die Eule Eulalia> zu lesen und ich habe plötzlich die amerikanischen Soldaten vor meinen Augen und höre geradezu deren Eulen-Gebrüll und schon beginne ich still vor mich hinzusagen <Eule Eulalia>, je öfter ich das Wort wiederhole, komme ich darauf, umso lustiger wird es <Eule Eulalia> mit der Zunge zu formulieren und ich entdecke bei mir vielleicht das gleiche Gefühl wie die amerikanischen GI`s und ich spüre, wie es geradezu süchtig macht, immer wieder <Eule Eulalia> zu sagen und immer wieder, es entwickelt sich ein derart angenehmes Gefühl im Mund, diese Worte zu formulieren und man vergisst, dass man sich ja gerade auf der Straße befindet und manche Leute wohl denken, dass du vielleicht betrunken seiest, weil du mit dir selbst redest, leise zwar, aber doch deutlich hörbar, da redet einer mit sich selbst, der hat wohl nicht alle, sieht gar nicht so aus, wie wenn er betrunken wäre, geht gerade, muss wohl so nicht ganz dicht im Kopf sein, möglicherweise versteht sogar einer, der gerade ganz nahe an dir vorbeikommt, diese Aneinanderreihung von Vokalen und Lauten und es muss ihm noch mehr wie ein Lallen vorkommen, vielleicht hat er sich sogar umgedreht und dir verwundert nachgeschaut, aber du merkst es gar nicht, weil du ja immer noch damit beschäftigt bist, <Eule Eulalia> zu sagen und diese beiden Worte im Mund zu spüren, jawohl, du spürst sie tatsächlich, spürst, wie dein linker Zungenrand zuerst Kontakt mit deiner linken oberen Zahnreihe aufnimmt, sich dagegen presst und das erste <Eul> von Eule formuliert, du spürst dieses Gefühl, wie sich deine Zunge gegen die Zähne drückt und dieses Gefühl wird immer angenehmer und du beginnst immer öfter dieses <Eul> zu sagen.

 

Ganz versunken beginnst du dieses <Eule Eulalia> zu sagen, du beginnst darauf zu achten, wie du es sagst, ob Du <Eule Eulalia> mit einer ganz kleinen Pause dazwischen sagst oder ob du es zu einem einzigen Wort zusammen fließen lässt. Es beginnt ein Spiel, in dem du möglichst darauf achtest, nicht darauf zu achten, ob du eben <Eule Eulalia> oder <Euleeulalia> sagst, weil du ja herausfinden willst, ob du unbewusst <Eule Eulalia> oder <Euleeulalia> sagst, du willst sozusagen bewusst herausfinden, ob du unbewusst öfters so oder so <Eule Eulalia> sagst, du willst also bewusst dein Unbewusstes kontrollieren und auszählen, was indes fast nicht gehen kann, weil ja meist, wenn du drei Mal unbewusst das Wort gesagt  hast, bewusst nicht mehr nachzählen kannst, wie oft du so oder so gesagt hättest.

 

 

Die sprechende Eule Eulalia

Werner Steinkellner

Dr. med. univ.

Stieglbräu in Linz

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