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Probejahr

Auszug und Leseprobe  (1)   (2)

 

Das Drama des Wortes gibt es nicht mehr, sagt V. immer, es gibt nur mehr das Drama der speiüblen Missgeburten, die Regie muss die alten Stücke ja zeitgemäß aufarbeiten, die alten Könige müssen heute im Anzug auftreten, der Diener nur im Sakko ohne Unterhose, die Mätresse, naja, wie immer in der Unterwäsche, soll von ihm aus gleich bleiben, in einen angeschissenen Sack vielleicht könnte man sie zur höheren dramaturgischen Ehre noch stecken, möglichst geruchsintensiv zumindest für die ersten Reihen im Theater, das wäre doch interaktiv, wenn sich das vornehme Publikum ebendort gleich mitübergeben  und von Reihe zu Reihe der Funke überspringen, bis der ganze Saal nach Erbrochenem stinken würde.

 

V.s Wangen röten sich bei dieser Steigerung, doch er muss stocken, da uns die Stiegl-Kellnerin das nächste Bier bringt, sie kennt uns ja schon lange und ist immer wieder von unserem Enthusiasmus eingenommen, nicht verstehend, worum es geht, aber sie fühlt diese unsere Erregung, die für sie ganz und gar eine erotische Komponente hat. So bleibt sie auch immer etwas länger als anderswo bei uns stehen, lässt sich abwechselnd einmal meinen, dann wieder einmal Volkers Arm um die Hüfte legen und legt ihre Hand auf die Schulter des einen oder anderen.

 

Es ist eine weiche, liebevolle Erotik ohne sexuelle Begierde, es ist vielmehr die Begierde der Stimmung, besser der Schwingung, die da herrscht, sie eine Mittvierzigerin, verraucht, nicht schön, eher mütterlich, Anfang der Achtzigerjahre waren wir die Reste der aufmüpfigen Generation, die sich als Achtundsechziger einmal einen gewissen Ruhm erkämpft hatte. Meine Revoluzzer, sagte sie manchmal, meine kleinen Revolutionäre sind wieder da, ein ander Mal, sie fühlte sich ein wenig seelenverwandt, wollte sie doch wie wir ausbrechen aus dieser Welt, die sie, genau wie wir, eines Tages selbst gewählt hatte und die ihr indes bald fremd geworden war, wie wir erkannte sie bald, dass man voller Begeisterung in eine Welt eintreten könne, die vermeintlich der eigenen am nächsten kommt, man aber bald mit Schaudern erkennt, dass alles völlig anders ist, man könne gar nicht begreifen, dass die als so eigen eingeschätzte Welt eine völlig andere, fremde sei, dass die Personen, die in dieser Welt agierten, diese Welt völlig verändert hätten, so als hättest du dir ein rosarotes Kleid gekauft und in der Nacht hätte dir jemand dieses Kleid auf schwarz umgefärbt und du wärst gezwungen, quasi gegen deinen Willen, nunmehr dieses schwarze Kleid zu tragen und in dieser Welt weiter als schwarzes Kleid herum zu wandeln, du könntest gar nicht anders, weil du ja kein zweites Kleid hättest, du hast sozusagen gar nicht die Chance, dieses Kleid zu wechseln.

 

Genau so kommst du als Literat in die Welt der Literatur, du glaubst, du kommst in dein Land, in deine Heimat und könntest dich dort auf einem Fleckchen Erde niederlassen und dein Gärtlein betreuen, du könntest dich erfreuen am Leben in dieser deiner Welt, in die du dich hinein studiert hast und merkst, dass du da gar nicht erwünscht bist, sobald du den Mund aufmachst, eine Idee hast, da hat einer eine Idee, redet womöglich gar gescheit daher, schreibt womöglich auch etwas, ist doch schon von uns alten Literaten alles gesagt, sämtlich Probleme der Weltgeschichte sind durchgewalkt von Minnegesang und Co und da käme einer daher, der weiß was um Gottes Willen, das kann doch nicht sein, in der Verwaltung, als Bibliothekar, ja, das Fest des Lesens, Linz liest, Herr V. hat wieder einmal alles zum Besten organisiert, ja, wir wissen, was wir an ihm haben, wir könnten doch keinen Besseren und Herr V. krümmt sich unter der Schlammlawine, möge die Donau auf immer über die Ufer treten, in einem kleinen Boot möchte er die Au hinunter treiben zu seinem Garten bis dahin, wo doch noch etwas Sonne scheint, heraus aus dieser seiner Welt, die gar nicht die seine mehr ist, die zu nicht mehr seiner geworden ist, der unvermeidliche Wechsel für diejenigen, die glauben, es gäbe eine Reinheit der Geschehnisse, die Literatur beschreibe unsere Welt und die Welt wäre in eben dieser Literatur beschrieben und es wäre das Leben, das Lebendige, das Empfindende unseres Seins, indes muss er erkennen, dass nur die dumpfen Kommentare einer Literaturindustrie ein Scheinbild zeichneten, Gewinn orientiert, dort und da jemandem einen sogenannten Durchbruch schaffen lassend, der in dieses Weltbild gerade passt. Jede Preisverleihung wie die Dekoration eines Kriegshelden, viele Abschüsse, viele Tote hinterlassend, diese Literaturrambos, stakattische Buchstaben-Maschinengewehre, tausend Schüsse und mehr in der Minute in der Lesung knallen die Mitleser an die Wand, es lebe die Literatur schreien sie noch aus ihren lesenden Mündern und versinken in der grünen Sumpflacke der Gnadenlosen, die sie nicht verstehen und ihre Texte verbrennen, wieder werden die Bücher verbrannt, immer wieder, immer wieder wird das Feuer zur Reinigung von vermeintlich Minderwertigem benützt.

 

 

 

Werner Steinkellner

Dr. med. univ.

Stieglbräu in Linz

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